editorial mole #3

Liebe Leser*innen,

etwa ein Jahr nach der letzten Ausgabe melden wir uns zurück mit einem neuen mole (1). Diesmal widmen wir das …ums Ganze!-Magazin dem Feminismus.

Warum dieses Thema? Wo ist denn heute noch das Problem? Schaut man sich die hiesige Situation an, so hat sich natürlich vieles verändert, was vor allem den Kämpfen der Frauen- Schwulen- und Lesbenbewegungen des 20. Jahrhunderts zu verdanken ist. Frauen* können heute am gesellschaftlichen Leben teilhaben, sind finanziell weniger abhängig und der Zugang zu Bildungseinrichtungen und Berufen wird ihnen  zumindest dem Anspruch nach gewährt. Sie werden offiziell als Rechtspersonen anerkannt und Vergewaltigungen in der Ehe sind mittlerweile verboten. Geschlechternormen und Rollenbilder sind teilweise aufgebrochen worden, es gibt eine breite Zustimmung zu Fragen der Gleichberechtigung. Verschiedenste von der Kernfamilie abweichende Lebensformen sind denkbar geworden und nicht heterosexuell lebende Menschen werden in Deutschland zumindest weniger diskriminiert als früher.

Allerdings sind diese Errungenschaften erstens nicht überall der Fall, zweitens sind sie stark von Klasse, Herkunft und anderen Zuschreibungen abhängig und drittens sind diese Emanzipationsgewinne weder selbstverständlich noch Konsens, sondern bis heute (nahezu überall) stark umkämpft. Reproduktionsarbeit wird weltweit nach wie vor überwiegend von Frauen getragen und ist gesellschaftlich nach wie vor abgewertet.

Weit verbreitet ist jedoch die Annahme, dass die Unterdrückung von Frauen* Geschichte sei. Das liegt daran, dass die Ungleichbehandlung heute besser verschleiert ist denn je: »Bestimmte Frauen mit spezifischen finanzielle Ressourcen, Bildungsabschlüssen, ›richtiger‹ Hautfarbe und deutschem Pass (usw.) können heute in Heterobeziehungen relativ emanzipierte Lebensentwürfe führen. Aber auch nur, indem sie einen Teil der im Privaten anfallenden Sorgearbeit an weniger privilegierte Frauen* abgeben, einen anderen Teil, auch der eigenen Reproduktion, in die Konsumsphäre verlagern (Yoga-studios oder Wellnessoasen) und indem der Teil, den sie einfach so nebenher noch leisten, unsichtbar bleibt – wozu sie selbst auch beitragen. Auch weil er von den Frauen* selbst, als traditionell und natürlich begriffen wird. (…) Diese sind Mechanismen sind Mechanismen der Individualisierung und scheinen die aus feministischer Perspektive zentralen Probleme zu sein, mit denen wir es gegenwärtig zu tun haben.  (…) Gestresst vom Job, zwei Kinder und ein Pflegefall? – Mach doch Yoga!« (2)

Aber nicht nur in der sogenannten deutschen Mehrheitsgesellschaft gehören diese Probleme zu Alltag, wir müssen auch einen selbstkritischen Blick in unsere politische Organisation werfen. Hier wird Feminismus und der Umgang mit einem ungleichen Geschlechterverhältnis in Nebengruppen ausgelagert bzw. als eines von vielen (weniger wichtigen) Zielen nach hinten verschoben. Es herrscht häufig die Überzeugung, durch ein grundsätzlich antisexistisches Selbstverständnis ja schon genug »richtig zu machen«. Auch wenn in …ums Ganze! glücklicherweise zwar nicht die Diskussion um Haupt- und Nebenwiderspruch geführt werden muss, sehen wir auch bei uns Nachholbedarf, sowie die Dringlichkeit feministischer Theorie und Praxis. Denn unser Kampf als kommunistisches Bündnis kann kein emanzipierter Prozess sein, wenn es nicht auch ein feministischer ist.

So sind Shulamith Firestones Worte von 1970 höchst aktuell: »Feministische Ziele sind nicht nur vorrangig Ziele für Frauen, sie sind der Mittelpunkt jeder umfassenden revolutionären Analyse überhaupt. Der bestehenden linken Analyse wird die Anerkennung verweigert, nicht weil sie zu radikal ist, sondern weil sie nicht radikal genug ist.« (3)
Wer anerkennt, dass der Kapitalismus und das Patriarchat eng verwoben sind (4), wird einsehen, dass sich beide nur gemeinsam bekämpfen lassen. Daher ist unser feministischer Kampf eingebettet in antikapitalistische und antirassistische Kämpfe.
Deshalb also dieses mole, welches sich gerade wegen seines Schwerpunktes »ums Ganze« dreht und hoffentlich dazu beitragen wird, dass in linker Theorie und Praxis in Zukunft jedes Denken selbstverständlich auch feministisches Denken ist, in jeder Analyse die besondere Position und Erfahrungen von Frauen* und anderen unter Sexismus leidenden Menschen Beachtung findet.

Mit der ABC Struktur des Hefts versuchen wir zu verdeutlichen, dass wir diese Ausgabe als Einstieg in ein von …ums Ganze! bislang noch zu wenig behandeltes Terrain verstehen. Dies soll weniger den Anschein eines vollständigen Lexikons als den Anspruch auf Unvollständigkeit erheben. Wir haben versucht eine Art Puzzle aus unterschiedlichen Beiträgen vorzulegen. Querlesen ist ausdrücklich erwünscht.
Gerne hätten wir noch mehr essayistische Texte und Erfahrungsberichte in die Ausgabe aufgenommen, um zu zeigen, dass wir die ohnehin unscharfe Grenze zwischen privat und politisch aufbrechen möchten. Die Gedanken einer Genossin aus Hannover zur Debatte nach der Silvesternacht in Köln können nur ein Anfang sein.

Die Redaktion dieses Heftes sitzt in Leipzig und besteht derzeit aus sechs Personen, die in der Gruppe the future is unwritten und im …ums Ganze!-Bündnis organisiert sind. Das mole magazin soll dem Anspruch nach Plattform für Auseinandersetzungen im Bündnis sowie Sprachrohr nach außen sein, wodurch wir als Redaktion im ständigen Austausch mit dem Bündnis stehen.
Dennoch treffen wir bestimmte redaktionelle und inhaltliche Entscheidungen.
Wir begreifen uns als materialistische Feminist*innen und was wir darunter verstehen haben die Redakteurinnen der Outside-the-Box so schön auf den Punkt gebracht, dass wir ihr Interview mit der Zeitschrift Malmoe bei uns abdrucken. Vielen Dank an dieser Stelle und solidarische Grüße.

Zusätzlich zu Texten von ›…ums Ganze!‹ Gruppen, wie dem Statement aus Berlin zu feministischer Strategie innerhalb des Bündnisses, haben wir auch Autor*innen veröffentlicht, die mit dem Bündnis sympathisieren, wie beispielsweise die Gastautorin, die über junge, muslimische Männer und das Bild von ihnen schreibt. Auch freuen wir uns, neu zum Bündnis hinzugestoßene Städte, wie München und Dresden, die Möglichkeit zu geben, sich vorzustellen, mit Artikeln zu völkischen Vorstellungen der Pegida-Anhänger, über den Begriff der Intersektionalität oder dem f*antifa-Konzept.
Neben dem Feminismus ABC finden sich im Heft drei weitere Artikel, so berichtet die autonome antifa [w]ien über die besondere politische Situation in Österreich.

Uns ist bewusst, dass sich dieses mole überwiegend auf lokale, das heißt Verhältnisse in Deutschland (bzw. Österreich) fokussiert. Natürlich unterscheiden sich die Formen der Unterdrückung weltweit je nach Ort, Geschichte und gesellschaftlichen Bedingungen. Auch wenn wir ihm in diesem Heft nicht gerecht werden, möchten wir zumindest den Anspruch formulieren, Verbindungen zwischen feministischen Kämpfen zu sehen, die überall auf der Welt geführt werden.

Die Art des Genderns überließen wir den jeweiligen Autor*innen, falls mal nicht gegendert wurde, so ist dies meist bewusst geschehen und wird in den Fußnoten erklärt.

Möge das mole Gespräche, Diskussionen, ja, vielleicht sogar Streit auslösen. Wir sind gespannt auf Antworten, Kritik und weitere Beiträge feministischer Gesellschaftskritik,
sowie Geschichten aus dem Alltag.

Weitergraben & stay uGly!

die mole Redaktion,  April 2016

 

Fußnoten

(1) »Aber die Revolution ist gründlich. Sie ist noch auf der Reise durch das Fegefeuer begriffen. Sie vollbringt ihr Geschäft mit Methode. [...] Und wenn sie [...] [ihre] Vorarbeit vollbracht hat, wir Europa die Welt [...] aufspringen und jubeln: Brav gewühlt, alter Maulwurf!«
Der Titel des Magazins steht in Referenz auf den Maulwurf wie ihn Marx im 18. Brumaire als Analogie zur Revolution – als treibende Kraft der menschlichen Geschichte – einsetzt. Auch wenn eben diese Geschichte immer noch dem revolutionären Optimismus schimpft, wollen wir fleißig mitgraben, um den Möglichkeiten der Befreiung des Menschen von gesellschaftlicher Herrschaft zu ihrer Wirklichkeit zu verhelfen.

(2) Frei nach dem Redebeitrag von Sarah Speck bei der von TOP B3rlin organisierten Podiumsdiskussion »Klasse Frau – Zum Stand feministischen Kämpfens« (02.03.2016). Wir möchten auf ihr aktuell erschienenes Buch verweisen: Cornelia Koppetsch, Sarah Speck: »Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist – Geschlechterkonflikte
in Krisenzeiten«

(3) Firestone, Shulamith: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag. 1975, S. 40

(4) Roswitha Scholz

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